Die Schaufensterpuppe, die an einem Spielautomaten angekettet ist, erregte Aufmerksamkeit: Zahlreiche Passantinnen und Passanten blieben am Regensburger Neupfarrplatz stehen, um nachzufragen oder sich Infomaterial mitzunehmen. Aufmerksamkeit erregten auch die Statements, die rund um den Aufbau ausgelegt waren: "Natürlich reicht das Gehalt nicht mehr aus. Man will immer mehr spielen, versucht das Geld immer wieder reinzuholen und so hatte ich nach circa einem Jahr etwa 25 000 Euro Schulden." Diese Worte stammen von einem pathologischen Spieler aus dem Umfeld der Caritas Fachambulanz für Suchtprobleme in Regensburg und dem Betroffenenbeirat Stimme der SpielerInnen Bayern. Gemeinsam haben sie den Infostand anlässlich des bundesweiten Aktionstags gegen Glücksspielsucht organisiert. Damit wollen sie die öffentliche Aufmerksamkeit auf ein Problem lenken, das oft verkannt wird: Etwa 70 000 Menschen in Bayern haben derzeit Probleme mit unverhältnismäßigem Glücksspiel.
Ein Mitglied des Betroffenenbeirats erzählt: "Bei Alkohol- oder Drogensucht gibt es viele Hilfsangebote, selbst in Gefängnissen. Sollten übermäßiges Glücksspiel oder auch Börsenspekulationen zu einer Gefängnisstrafe geführt haben, heißt es: ‚Der hat eben gezockt’. Es fehlt an vielen Stellen noch das Verständnis, dass es eben nicht nur ein Spiel ist, sondern eine Suchterkrankung." Doch Betroffene benötigen Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Erkrankung.
Die Sozialpädagogin Celine Schulz-Fähnrich leitet die Fachstelle Glückspielsucht der Caritas Fachambulanz für Suchtprobleme in Regensburg. Bei ihr finden Betroffene, aber auch Angehörige Hilfe bei übermäßigem Glücksspiel - und es werden immer mehr: "In Regensburg kamen 2020 insgesamt 139 Klientinnen und Klienten zu uns; pro Woche sind das im Schnitt 2,5 Personen. Und das sind nur die Personen, die bereits erkannt haben, dass sie ein Suchtproblem haben." Die Dunkelziffer an Betroffenen ist demnach groß.
Und die Zahlen könnten weiter steigen, vermutet die Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern. Denn: Zum 1. Juli 2021 ist der neue Glücksspielstaatsvertrag in Kraft getreten, der unter anderem Onlineglücksspiel und Onlinewetten legalisiert hat. Vor diesem Hintergrund sei es umso wichtiger, über die Risiken und Gefahren des Glücksspiels aufzuklären, so die Glücksspielexpertin.
Neben der Regulierung des Angebots verfolgt der neue Glücksspielstaatsvertrag allerdings auch das Ziel, Spielerinnen und Spieler besser zu schützen. Doch verhindert er tatsächlich die Entstehung von Glücksspielproblemen? Celine Schulz-Fähnrich erklärt: "Einige Punkte sind positiv anzusehen, doch manchmal hapert es an der Umsetzung." Als Beispiel nennt sie dabei das neue bundeseinheitliche Sperrsystem OASIS: Spielerinnen und Spieler, die sich ihrer Problematik bewusst sind, können ihre Sperrung eigenhändig über ein Formular und mit Vorlage der nötigen Ausweisdokumente beantragen. So soll weiteres Spielen verhindert werden. "Bei Onlineangeboten funktioniert es bisher ganz gut. Aber meine Klienten berichten, dass bisher noch niemand in terrestrischen Wettbüros und Spielhallen nach dem Ausweis gefragt wurde - was eigentlich Pflicht ist, so Schulz-Fähnrich.
Gut findet die Glücksspielexpertin hingegen den Panik-Knopf bei Online-Glücksspielangeboten: "Bemerkt eine betroffene Person, dass sie sich in einer Art Tunnel oder Rausch befindet, kann sie den Panik-Button betätigen. Dieser bewirkt eine kurzzeitige Sperre von 24 Stunden, sodass zumindest eine kleine Pause gegeben ist." Verhindert werden soll damit der totale Kontrollverlust.
Trotz aller Schutzmaßnahmen sind insbesondere Onlinewetten immer weiter verbreitet: Der 25-jährige Aron Weber ist seit Kurzem Praktikant in der Caritas Fachambulanz für Suchtprobleme in Regensburg; mit Glücksspiel und Wetten hatte er bisher vor allem im privaten Umfeld Kontakt: "Ich spiele Fußball im Verein, und da wird offen über Sportwetten, Quoten und Einsatz gesprochen. Ein Fünfer ist da gleich mal gesetzt", erzählt er - wetten gelte als "cool", an Gefahr denke keiner.
Wie schnell aus anfänglichem Spaß Ernst werden kann, machen die Worte eines weiteren Betroffenen deutlich: "Ich hatte das Gefühl, wenn ich nicht wetten würde, würde ich etwas verpassen. Ich war mir bei jeder Wetter sicher!" Und doch blieb am Ende ein großer Schuldenberg.