Am Sonntag, den 19. November, ist der erste "Welttag der Armen". Papst Franziskus hat ihn ausgerufen, um jene, die am Rand leben, in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Er möchte damit an den zutiefst christlichen Dienst an den Ärmsten erinnern. "Die Armen sind kein Problem. Sie sind vielmehr eine Ressource, aus der wir schöpfen können, um das Wesen des Evangeliums in uns aufzunehmen und zu leben", schreibt Papst Franziskus. Und genau das sieht die Caritas als ihren Auftrag.
"Auch bei uns gibt es Armut", sagt der Regensburger Diözesan-Caritasdirektor Michael Weißmann. "Wir nehmen diese Menschen mit ihren unterschiedlichen Nöten in den Blick und fragen sie, wie wir helfen können." Während die Parteien derzeit in den Sondierungs- und Koalitionsgesprächen um Wege für eine soziale Gerechtigkeit ringen, steuert die Caritas sozialen Ungerechtigkeiten längst entgegen. Die Dienste der Caritas Regensburg unterstützen beispielsweise Betroffene mit Lebensmittel- und Kleiderspenden, beraten Schuldner und Sozialhilfeempfänger, bieten frühe Hilfen für Familien an. Kurzum: Sie machen Armutsgefährdete oder Arme und ihre Familien fit für ein selbstbestimmtes Leben.
Doch wie sieht Armut bei uns heute aus? Weißmann erläutert: "Arm zu sein heißt, häufiger zu erkranken, schlechtere Bildungschancen zu haben und von vielen Möglichkeiten des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen zu sein." Wer kein Geld hat, dem mangelt es auch an Perspektive und Teilhabe. Wer arm geboren wird, bleibt zumeist arm. Wer ein Leben lang arbeitet, hat im Alter manchmal dennoch nicht genügend Geld. Menschen sitzen auf der Straße und betteln. Demenzkranke gelten vielen als geistig arm. Und eine der schlimmsten Formen der Armut ist die Einsamkeit: ein Leben arm an Begegnung und Beziehung. Aber es gibt auch jene, die freiwillig in Armut leben - und sie als größte Freiheit verstehen. Die Armut hat in einem reichen Land wie Deutschland viele Gesichter:
Kinder: Einmal arm, immer arm?
Was können Kinder dafür, wenn sie in armen Verhältnissen geboren werden? Nichts. Und dennoch tragen sie diese Bürde oft ein Leben lang. Armut bedeutet für Kinder hierzulande zumeist nicht, dass sie kein Dach über dem Kopf haben oder kein Essen. Armut sieht für sie meist so aus: Sie haben kein Geld für den Kinobesuch oder keinen Computer mit Internetzugang. Sie haben zuhause keinen Rückzugsort, um ihre Schularbeiten zu machen oder sie haben nicht genug Platz, um Freunde zum Spielen oder zur Geburtstagsfeier einzuladen. Auf viele Dinge, die für andere Kinder und Jugendliche ganz selbstverständlich sind, müssen rund 21 Prozent der Kinder in Deutschland verzichten. Studien belegen: Jedes fünfte Kind in Deutschland lebt abgehängt in Armut. Das Schlimmste daran: Wer gesellschaftlich abgehängt ist, der bleibt es zumeist. Einmal arm bedeutet häufig immer arm, besagt eine Studie der Bertelsmann Stiftung. Als Konsequenz fordert unter anderem der Deutsche Kinderschutzbund die Einführung einer Kindergrundsicherung: Jedes Kind soll monatlich 573 Euro erhalten.
Jugendliche: Mit schlechten Noten in die Armut
Kinder und Jugendliche aus ärmeren Familien haben in den Schulen nachweisbar schlechtere Chancen und bleiben von Anfang an auf der Strecke. Besonders betroffen sind Kinder Alleinerziehender, Kinder mit vielen Geschwistern oder Kinder mit geringqualifizierten Eltern. "Es ist beschämend, dass in unserem Land Kinder dauerhaft oder immer wieder neu in Armut leben", sagt Michael Weißmann. "Die Bekämpfung der Armut von Kindern und Familien gehört ganz oben auf die Agenda bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen."
Die aktuelle Caritas-Bildungsstudie zeigt: In Deutschland steigt die Zahl der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss. Mehr als 47 000 Jugendliche sind ohne Schulabschluss. Experten sind sich einig über den engen Zusammenhang zwischen Armut und niedriger Bildung: Fehlende oder schlechte Schulabschlüsse führen oft entweder in den Hartz-IV-Bezug oder in die Leiharbeit. Junge Menschen kommen so nicht oder nur sehr schwer aus der Armutsspirale.
Frauen: Wer die Kinder erzieht und die Eltern pflegt (auch heute noch)
Eines der größten Armutsrisiken in Deutschland sei es, eine Frau zu sein, sagte die Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz kürzlich in Berlin. Den Angaben der Konferenz zufolge seien Frauen stärker armutsgefährdet als Männer. Der Grund: Die Frauen bringen sich mehr in unentgeltliche Pflege- und Sorgearbeit ein. Frauen kümmerten sich um die Kinder, pflegten Angehörige, wirkten ehrenamtlich in Kita oder Schule, im Sport oder in sozialen Initiativen. Die Folge seien häufig schlechte Rückkehrchancen in den Beruf, prekäre Arbeitsverhältnisse und deutlich geringere Renten. Sind Frauen dann noch alleinerziehend (neun von zehn Alleinerziehenden sind Frauen), entkämen sie der Armut nur schwer. Knapp 44 Prozent der Alleinerziehenden sind den Angaben zufolge von Armut betroffen.
Fremde: Wenn die Herkunft über Wohlstand entscheidet
In einer globalisierten Welt hat Armut in Deutschland auch immer etwas mit Armut woanders zu tun: Wer in seiner Heimat kaum noch Lebensgrundlagen findet, macht sich auf den Weg in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Doch auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern führen sie zumeist ein Leben am Existenzminimum. Einwanderer haben selbst viele Jahre nach ihrer Ankunft bei gleicher Bildung, Arbeit oder Gesundheit ein deutlich höheres Armutsrisiko als der Rest der Bevölkerung. Das geht aus einer aktuellen Studie des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) an der Humboldt-Universität zu Berlin hervor. Unter Menschen, die weniger als zehn Jahre in Deutschland leben, sind 37 Prozent von Armut bedroht. Nach 25 und mehr Jahren sinkt das Risiko auf 23 Prozent.
Alte Menschen: Wenn die Rente nicht mehr reicht
Die Regensburgerin Martha S. (63), hat immer Sozialversicherungsbeiträge gezahlt. Heute geht sie in die Fürstliche Notstandskasse zum Essen. Die Rente reicht ihr nicht zum Leben. Millionen Menschen in Deutschland leben in Altersarmut. Menschen, die immer in die Rentenkasse eingezahlt haben, rutschen im Alter in die Armut ab. Laut Statistischem Bundesamt waren im vergangenen Jahr 14,4 Prozent der über 65-Jährigen arm. Bei den Rentnern sind es sogar 15,6 Prozent. Und die Altersarmut steigt: Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung liegt das Armutsrisiko bei Rentnern derzeit bei 16,2 Prozent. 2036 soll dann jeder fünfte Rentner armutsgefährdet sein. Ursachen für drohende Altersarmut gibt es laut Experten viele: Sie liegen zumeist im Wandel des Arbeitsmarkts in den vergangenen 25 Jahren. Die Bertelsmann-Studie nennt vor allem drei Gründe: Unterbrechungen des Berufslebens, prekäre Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnbereich sowie sinkende Renten durch eine alternde Gesellschaft.
Die Zahlen der Caritas bestätigen diesen Trend. Jeder fünfte Ratsuchende, der in der Diözese Regensburg zur Caritas kommt, ist älter als 60 Jahre. Die Caritas-Beratungsstellen unterstützen die von Altersarmut betroffenen Rentner. Sie informieren zu Themen wie Grundsicherung, Rentenversicherung, soziale Dienste, Wohnhilfe oder psychosozialer Betreuung (beispielsweise bei Sucht im Alter). "Viele Rentner schämen sich für ihre Armut. Sie beanspruchen häufig gar nicht die Leistungen, die ihnen zustehen", sagt der Caritasdirektor. Bundesweit liegt die Quote der Nichtinanspruchnahme bei 60 Prozent. Die Nachfrage nach sozialer Schuldnerberatung gerade bei Älteren nimmt zu. Der Schuldneratlas 2017 der Creditreform unterstreicht dies, vier von fünf neuen überschuldeten Personen sind älter als 50 Jahre.
Die Caritas hat Martha S. in Regensburg an die Fürstliche Notstandsküche vermittelt, wo es an fünf Tagen der Woche warmes Mittagessen kostenlos gibt. Vielleicht trifft sie dort auf Karl M., 71 Jahre alt und ebenfalls Caritasklient. Der Rentner hat sich im Alter hoch verschuldet. In manchen Monaten hat er so wenig Geld, dass er seine Tablettenrationen halbiert.
Obdachlose: Das ganze Leben in einer Tasche
Für die meisten Menschen in unserer Region ist es selbstverständlich, ein Dach über dem Kopf zu haben. Es gibt aber auch Menschen, die keine oder nur geringe Chancen haben, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Sie leben entweder in Notunterkünften und Pensionen oder können im besten Fall kurzzeitig bei Bekannten unterkommen. Etwa eine halbe Million Menschen in Deutschland haben laut Schätzungen kein eigenes Zuhause. Wohlfahrtsverbände beklagen einen starken Anstieg der Wohnungslosigkeit. Ursache dafür ist vor allem ein Mangel an preiswertem Wohnraum und der Rückgang des sozialen Wohnungsbaus. Obdachlose haben meist mit einer Menge von Problemen zu kämpfen. Wohnungslosigkeit ist das Ergebnis eines langen Prozesses der Ausgrenzung. In der Regel sind diese Menschen alleinstehend, ohne Arbeitsplatz, ohne Einkommen und ohne soziale Bindungen. Manche leiden zudem an einer Sucht oder einer psychischen Störung. Scheinbar alltägliche Dinge stellen sie vor große Herausforderungen. Die Wohnungslosen- und Obdachlosenhilfe der Caritas hilft ihnen bei der Sicherung der Grundversorgung. Im Zusammenwirken mit den Behörden streben die Beraterinnen und Berater der Caritas Verhaltensänderungen an und versuchen so, eine gezielte Wiedereingliederung anzustoßen. Hauptaufgabe der Caritas für wohnungslose Menschen ist die Grundversorgung, aber auch das Bemühen um Wiedereingliederung: das Bleiben an einem Ort.
Bettler: Für eine Handvoll Cent
Die Zahl der Bettler steigt, in manchen deutschen Städten hat sie sich in den vergangenen Jahren verdoppelt. Sie sind täglich sichtbar, klauben Pfandflaschen oder Essbares aus den Mülleimern oder bitten um Geld. Manche machen Straßenmusik, andere verkaufen Obdachlosenzeitungen, wieder andere sitzen da mit einem Pappschild, auf dem steht "Ich habe Hunger". Betteln ist eine sichtbare Form der Armut und Ausdruck einer extremen Notlage. Mancher sieht hingegen kriminelle Banden am Werk. Viele fragen daher: "Soll ich Bettlern in der Stadt etwas geben?" Die Caritas möchte Orientierung geben (siehe Interview).
Demenzkranke: Geistig arm?
In Deutschland leben rund 1,6 Millionen Demenzkranke. Bis zum Jahr 2050 soll sich Experten zufolge diese Zahl verdoppeln. Düstere Aussichten für Deutschland? Wer Menschen fragt, die Demenzkranke pflegen, erhält ein anderes Bild. "Demenz ist nicht nur diese graue furchterregende Erkrankung, für die sie viele halten. Viel Lebensmut und Freude steckt in ihr. Ein Leben mit Demenz ist lebenswert", sagen Heimleiter der Caritas aus Erfahrung und Überzeugung. Menschen mit Demenz sind reich an Gefühl. Experten beschäftigen sich intensiv mit einem neuen Umgang mit Demenzkranken. Es geht darum, diese Menschen ernst zu nehmen und auf ihre Ängste und Bedürfnisse einzugehen. Würdevolle Pflege, ob dement oder nicht, ist eine der Kernaufgaben der Caritas.
Einsame: Wie uns das Leben in der digitalen Welt verändert
"Die schlimmste Form der Armut ist Einsamkeit und das Gefühl, unbeachtet und unerwünscht zu sein", so formulierte es Mutter Teresa einmal. Menschen, die in Armut leben, nehmen nachweisbar weniger am gesellschaftlichen Leben teil und haben weniger soziale Kontakte. Es gibt aber auch eine Form der Einsamkeit, die ganz unabhängig von Status oder Einkommen ist: die digitale Einsamkeit. Wir diskutieren, arbeiten, wirtschaften und verlieben uns per Facebook, WhatsApp oder E-Mail. Wir sind auf das direkte Gespräch nicht mehr angewiesen. Was macht das mit uns? Die US-Psychologin Sherry Turkle erforscht am Massachusetts Institute of Technology (MIT) seit vier Jahrzehnten das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine. Für sie gibt es einen tieferen psychologischen Grund, dass Leute in Blogs, Chats und Kontaktforen abtauchen: "Menschliche Beziehungen sind kompliziert und verletzend. Das Netz bietet Kontakt ohne Nähe." Der Mensch im digitalen Zeitalter lebe "gemeinsam einsam".
Zusatzinfo 1: Wer ist "arm"?
"Arm" oder "armutsgefährdet" gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Pro-Kopf-Einkommens (berechnet auf Basis der OECD-Skala) des jeweiligen Landes zur Verfügung hat. In Deutschland liegt diese Schwelle für eine vierköpfige Familie (zwei Erwachsene, zwei Kinder unter 14 Jahren) bei einem Nettoeinkommen von 1 978 Euro im Monat. Bei Alleinerziehenden mit zwei Kindern unter 14 Jahren liegt die Armutsschwelle bei 1 507 Euro. Ein Single gilt als arm, wenn er weniger als 917 Euro im Monat hat. Daneben gibt es die absolute Armut. Als absolut arm gilt, wer einen Dollar oder weniger am Tag zur Verfügung hat. Diese Menschen können sich lebenswichtige Grundbedürfnisse nicht mehr leisten.
Zusatzinfo 2: Die Caritas hilft
"Beraten - helfen - engagieren". So lautet das Programm der Caritas im Bistum Regensburg. Haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende helfen in Krankenhäusern und Altenheimen, in Kindergärten, Kinderhorten und Kinderkrippen, in Einrichtungen für Familien oder Menschen mit Behinderung, in Wohngruppen, Wohnheimen oder Einrichtungen für Suchtkranke oder psychisch Kranke. Sie beraten jeden Tag umfassend und kompetent. Egal, mit welchem Problem die Menschen zur Caritas kommen, die Tür steht allen offen, unabhängig von Konfession oder Herkunft.
Informationen: www.caritas-regensburg.de
Zusatzinfo 3: Soll ich Bettlern in der Stadt etwas geben? Ein Kurz-Interview mit Marcus Weigl, Sprecher der Caritas Regensburg
Ein Bettler spricht mich auf der Straße an und bittet um Geld. Soll ich dem bettelnden Menschen etwas geben?
Wem beim Anblick dieses Menschen das Herz aufgeht, der wird ihm auch etwas geben. Das ist das Grundprinzip des Almosengebens, ja sogar der Nächstenliebe.
Oft hört man, dass man kein Geld geben sollte. Die Polizei warnt vor organisierten Bettlerbanden. Organsierte Bettelbanden sind schwer oder oft gar nicht zu greifen. Es ist eine schwierige Angelegenheit, organisiertes Betteln zu erkennen und zu überführen. Es handelt sich allenfalls um Einzelfälle. Jeder entscheidet selbst, ob er hilft oder nicht.
Was kann mir dabei helfen, die Situation gut einzuschätzen?
Versuchen Sie, den Menschen zu sehen: Schenken Sie Ihrem Gegenüber einen freundlichen Gruß und Ihre Aufmerksamkeit. Versuchen Sie, Ihre Ängste, aber auch überbordende Zuneigung hintanzustellen. Dies ermöglicht ein besseres Wahrnehmen. Sie können auch "Nein" sagen. Das ist allein eine Frage Ihres Gewissens.
Muss es immer Geld sein, das ich gebe?
Geben Sie das, was gebraucht wird. In der Regel ist das Geld. Wenn Sie lieber andere Dinge geben möchten, klären Sie mit dem bedürftigen Menschen ab, was er braucht. Sie können beispielsweise auch mit Tipps und Informationen helfen, beispielweise wo eine Unterkunft ist oder die nächste Tafel. Akzeptieren Sie aber, wenn Hilfesuchende daran kein Interesse haben.
Was kann ich tun, wenn ich mich durch einen bettelnden Menschen belästigt fühle?
Wenn Sie sich belästigt fühlen, sagen Sie ein deutliches "Nein" und brechen das Gespräch ab. Passen Sie Ihre Reaktion der Situation an und versuchen Sie, respektvoll zu bleiben. Wenn Ihnen die Situation entgleitet, können Sie – genau wie bei anderen Grenzüberschreitungen im öffentlichen Raum – andere Passanten um Hilfe bitten.