Regensburg (cn). „Auf dem personalintensiven Pflegemarkt hat ein ruinöser Wettbewerb eingesetzt. Viele Träger bezahlen ihr Personal schlecht. Die Leistungsstärke des Personals ist dabei völlig unerheblich. Ein Träger mit besonders gutem Personal, das er entsprechend honorieren möchte, tut sich schwer“. Dr. Roland Batz, neuer Diözesan-Caritasdirektor, hat vor der Presse klar Stellung zur derzeitigen Situation der Pflege bezogen. Der Mangel an Pflegenachwuchs und die immer schwierigere Finanzlage bedrohen viele Pflegeeinrichtungen existenziell. Batz forderte ein schnelles Handeln von allen Beteiligten: „Wir alle wollen später gut gepflegt werden. Jetzt müssen endlich die richtigen Weichen gestellt werden.“ Das von der Politik im letzten Jahr ausgerufene „Jahr der Pflege“ bliebe sonst ein guter gemeinter Ruf ohne Widerhall. „Die überbordende Bürokratie, immer mehr Kontrollen und die notorische Unterfinanzierung bleiben die Hauptprobleme in der Altenpflege“, zog die Caritas schonungslos Bilanz.
Die Ausführungsverordnung zum bayerischen Pflege- und Wohnqualitätsgesetz (PfleWoQ) legt zum Beispiel Mindestquadratmeterzahlen für Wohnschlafräume fest. Einrichtungsleiter ohne Hochschulstudium müssen einen Weiterbildungskurs im Umfang von bis zu 952 Stunden absolvieren. „Der Pflegemarkt ist komplett überreglementiert“, sagte Dr. Robert Seitz, zuständiger Abteilungsleiter bei der Caritas. Niemand würde auf die Idee kommen, die Weiterbildungspflicht für Führungskräfte bei BMW gesetzlich zu verordnen. Die Pflege stehe ständig unter einem Generalverdacht. Und das trotz hoher Kundenzufriedenheit und hervorragender Pflegenoten, wie sie etablierte Träger wie die Caritas erreichen. Inzwischen nehmen manche Vorgaben gigantische Ausmaße an: Ein rechtlich verordneter Verbrühungsschutz an den Wasserhähnen bayerischer Seniorenheime droht 23 Millionen Euro zu verschlingen. Gleichzeitig begünstigt eine solche Maßnahme die Entstehung oft tödlicher Legionellen . Das Kosten-Nutzen-Verhältnis solcher Vorgaben darf infrage gestellt werden. „Es ist ein Armutszeugnis für die Politik, dass sie den Pflegemarkt einerseits mit immer mehr Vorschriften überzieht, andererseits aber in zentralen Fragen seit Jahren auf der Stelle tritt“, sagte Seitz. Dies gelte für die Würdigung von Demenz beim Pflegebedürftigkeitsbegriff und bei der Mittelzuweisung ebenso wie für eine längst überfällige sozial ausgewogene Finanzierungsreform. Vorgaben seien sinnvoll, dürften aber nicht zum Selbstzweck werden. „Eine wesentliche Triebfeder der sozialen Marktwirtschaft ist die Handlungsfreiheit der Akteure“. Derzeit haben wir es auf dem Pflegemarkt mit reiner Planwirtschaft zu tun.
Qualität durch gute Mitarbeiter
„Wir raten den Menschen, sich immer persönlich einen Eindruck von der Atmosphäre in der Einrichtung vor Ort zu verschaffen und Erfahrungen mit der Pflege einzuholen“, empfahl Caritasdirektor Dr. Roland Batz . Beim Rundgang durch das Heim könne man einen realistischen Einblick gewinnen. Gute Pflege komme zu allererst durch motiviertes und qualifiziertes Personal. Der Diözesan-Caritasverband baue deshalb auf eine gute Aus- und Fortbildung, langfristige Arbeitsverhältnisse, eine überdurchschnittliche und faire Bezahlung nach Tarif sowie gute Perspektiven für jeden einzelnen Mitarbeiter. „Am Lohn- und damit Qualitätsdumping beteiligen wir uns nicht“, so Batz . Einem Automobilunternehmen würde ja auch nicht vorgeschrieben, welchen Preis es für seine Wagen verlangen darf und dass es sich dabei am Durchschnitt vergleichbarer Autos zu orientieren habe. Im Pflegemarkt gibt der „externe Vergleich“ einen engen Rahmen vor, an dem sich die Träger von Senioreneinrichtungen zu orientieren haben. Ebenso gibt es strenge gesetzliche Vorgaben zur Personalausstattung (Personalschlüssel).
Pflegenoten: Aktenpflege statt Altenpflege
Seit über zwei Jahren sind die Prüfergebnisse des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) für stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen als Noten im Internet veröffentlicht. Die Berichte des MDK bescheinigen den Pflegeeinrichtungen der Caritas bisher eine überdurchschnittlich hohe Qualität. Keine Frage: Objektive Kontrollen sind notwendig und erwünscht. Doch: „Dieses Prüf¬verfahren spiegelt in erster Linie die Dokumentationsqualität und die Strukturqualität wider“, so Seitz. Die Gesamtnote wird überbewertet. Ein Schluss auf die Lebensqualität ist nicht zulässig. Denn: Fehlende Häkchen in den Dokumentationsakten führen zu einem „mangelhaft“, trotz hervorragender Pflegequalität. Den bürokratischen Aufwand für die Einrichtung schätzte Seitz mittler¬weile auf bis zu 40 Prozent der Arbeitszeit. Das Prüfverfahren wurde trotz methodischer Kritik von allen Seiten bisher nicht verändert. Außerdem verschlingt es jährlich 100 Millionen Euro. Zeit und Geld, die sinnvoll für die Pflege am Menschen investiert wären. „Die Prüfinstanzen haben die wichtige Aufgabe, im Pflegemarkt die schwarzen Schafe zu identifizieren und zu sanktionieren. Für Einrichtungen und Träger mit nachgewiesen guter Qualität kann die Prüfintensität – auch in ihrer Kostenwirkung – mindestens halbiert werden“, ist Seitz überzeugt.
Fehlender Pflegekräftenachwuchs
Das Gefühl, immer kontrolliert zu werden und unter Generalverdacht zu stehen, steigert nicht gerade die Motivation der Pflegemitarbeiter und auch der Auszubildenden. Wen wundert es da, dass die Frustration bei den Pflegenden zunimmt und bei jüngeren Menschen die Pflegeberufe nicht gerade beliebt sind? Derzeit interessieren sich laut einer aktuellen Erhebung nur 3,8 Prozent der Schüler für den Pflegeberuf. Außerdem tut sich auch die Regierung noch äußerst schwer, genügend für die Ausbildung zur Verfügung zu stellen. Da hat man zum Beispiel im Blick auf den Schulgeldausgleich zuerst die Finanzmittel gekürzt und dann wieder ein bisschen angehoben, um letztlich deutlich unter dem vorausgehenden Niveau zu landen. „Gut gemeinte und millionenschwere Initiativen und Kampagnen zum Pflegeberuf kommen zwar frisch und innovativ daher, helfen aber allein nicht weiter“, so Seitz. Seit Jahren engagiert sich die Caritas stark in der Nachwuchsförderung, durch eigene Schulen und durch die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen. Aktuell sind in den kirchlichen Altenpflege-Einrichtungen fast 130 Azubis beschäftigt.
Fehlende Investitionskostenförderung belastet die Pflegebedürftigen
Politik und Gesellschaft müssen sich fragen lassen, was ihnen die Pflege letztlich wert ist. Mehr Pflegebedarf erfordert mehr finanziellen Aufwand. Und dieser muss von der jüngeren Generation erbracht werden. Der erfreulich zunehmenden Zahl an älteren Menschen steht eine relativ geringere Zahl an jüngeren Menschen gegenüber. Heute schon muss die Frage beantwortet werden, wie Pflege in zehn, 20 oder 50 Jahren geleistet und finanziert werden kann. „Wir brauchen eine finanzielle Absicherung des Systems, die dem Grundgedanken der Solidarität Rechnung trägt und nicht zugleich die Lohnnebenkosten in die Höhe treibt“, so die Caritas. Es sei zu prüfen, ob die Beitragsleistungen gerecht verteilt sind und das klassische Gebot der Solidarität gewahrt bleibe: Breitere Schultern müssen mehr tragen als schwächere! Da sei es das falsche Signal, wenn Kommunen unter dem Haushaltsvorbehalt die Investitionskostenförderung für ambulante Pflegedienste einstellen. Noch dazu, wo derzeit Spitzensteuereinnahmen zu verzeichnen sind. Die Zeche bezahlt am Ende wieder der Pflegebedürftige selber. Die Gefahr der Altersarmut steigt.
Neue Pflegereform: ein Schritt vor, zwei zurück
Der Bundesgesundheitsminister hat jetzt den Referentenentwurf für ein Pflege-Neuausrichtungsgesetz vorgelegt. Er sieht die Erhöhung des Beitrags zur Pflegeversicherung um 0,1 Prozent ab 2013 vor. Positiv zu beurteilen sind grundsätzlich die verbesserten Leistungen bei ambulant betreuten Personen mit Demenz. Der Entwurf begünstigt aber zu einseitig die ambulanten Hilfen. Ob die Förderung so genannter ambulant betreuter „Senioren-WGs“ für eine relevante Zahl von Pflegebedürftiger die bessere und günstigere Alternative sind, darf bezweifelt werden. Gerade im Alter verändern sich Persönlichkeiten. Deshalb brauchen Betroffene wie auch deren Angehörige, die bei solchen Wohnformen noch stärker miteinbezogen werden, genauso eine professionelle Begleitung. Der Aufwand dafür ist immens. Die Betreuung demenziell erkrankter Bewohner in Heimen bleibt im aktuellen Gesetzesentwurf komplett außen vor. Dabei war die Einführung spezieller Betreuungskräfte für Bewohner mit Demenz in der Pflegereform 2008 ein erster guter Schritt. Diesen gelte es konsequent weiter zu entwickeln, so Seitz. Es brauche eine nachhaltige Lösung für alle Betreuungsformen – von der häuslichen Pflege bis zur Betreuung im Alten- und Pflegeheim. Dabei dürfe man sich die Vorstellung von Alter und Demenz nicht von einer WG-Romantik vernebeln lassen, so Seitz.
Zusatz-Info: Caritas-Altenhilfe in Zahlen
Die Caritas in der Diözese Regensburg hat sich zum größten Dienstleister in der Altenhilfe entwickelt. Mehr als 4.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in 60 ambulanten und 52 stationären Altenhilfe-Einrichtungen tätig. Täglich werden dort fast 10.000 ältere und kranke Menschen gepflegt und betreut.
Weitere Informationen: www.altenhilfe-caritas.de