Annemarie Pfisterer engagiert sich als Ehrenamtliche bei der Caritas RegensburgFoto: Schophoff/ Caritas Regensburg
Annemarie Pfisterer hat gelernt, Kinder zu lesen. Ihr entgehen weder schmollende Lippen noch ein Runzeln der Stirn noch ein Zwinkern mit den Augen oder ein Hochziehen der Mundwinkel. Es ist diese Sprache ohne Worte, die sich Annemarie Pfisterer in ihrem Ruhestand angeeignet hat. Sie braucht sie für ihr Leben als Rentnerin. Für ihr Ehrenamt. Denn sie unterstützt die Caritas Regensburg in der offenen Behindertenarbeitet.
Annemarie Pfisterer ist eine von derzeit 25 ehrenamtlichen Mitarbeitenden bei der offenen Behindertenarbeit (OBA) der Caritas Regensburg. Die meisten der Ehrenamtlichen sind Studentinnen, Annemarie Pfisterer ist die einzige Helferin im Ruhestand. Die Rentnerin betreut im familienentlastenden Dienst vier Familien, hilft bei Gruppenangeboten der OBA mit, singt im inklusiven Chor und begleitet mehrtägige Freizeiten. "Sie ist unsere Allrounderin", sagt Konrad Kett, der Leiter der offenen Behindertenarbeit. "Auf sie ist Verlass."
Auch Emil (*Name geändert) zählt auf sie. Der Junge (9) ist nahezu blind und leidet an Spastiken, an plötzlichen Krampfanfällen. Wenn Annemarie Pfisterer kommt, fangen die beiden nicht an zu Plaudern. Die Rentnerin kommt zunächst über Berührungen in Kontakt mit ihm. Sie massiert seine Hände und die Arme, macht Fingerspiele, stimmt schließlich ein Lied an. Der Junge ist schwerstbehindert und doch hat Annemarie Pfisterer einen Weg zu ihm gefunden. Wenn sie kommt, lächelt er. Ganz ohne Worte versteht sie ihn, liest seine Gesten und die Mimik.
Die Ehrenamtliche ist gelernte Erzieherin − und Spätberufene, was die Begleitung von Kindern mit Beeinträchtigung angeht. Sie war über 60 Jahre alt, als sie entschied, einen Bundesfreiwilligendienst zu machen. Sie suchte eine Aufgabe, die sie auch nach dem Berufsleben noch erfüllen würde. "Ich wollte im Ruhestand etwas Sinnvolles machen." Mehr Freizeit und Reisen? Das genügte ihr nicht. Sie wollte mehr als Meer. "Mir geht es gut. Ich möchte etwas zurückgeben." Noch vor dem Ende ihres aktiven Berufslebens bewarb sie sich um einen Bundesfreiwilligendienst. Die Caritas Regensburg brauchte sie in der offenen Behindertenarbeit. Bis heute hat sie mit dem Engagement einfach weitergemacht und bringt sich als Ehrenamtliche (gegen Aufwandsentschädigung) ein.
Im familienentlastenden Dienst (FED) unterstütz sie Familien mit behinderten Kindern. Emil und seine Eltern begleitet sie beispielsweise seit sechs Jahren. Aus dem Kindergartenkind ist längst ein Schuljunge geworden. Und Emils Eltern "können auch mal durchschnaufen", wenn sie kommt. Auch mehrtägige Freizeiten der OBA begleitet Annemarie Pfisterer. Sie erinnert sich an eine erwachsene Klientin: Die schwerstbehinderte Frau ist war noch nie verreist, nur aufgrund des Zuspruchs von Annemarie Pfisterer wagte sie die Teilnahme. Vier Tage mit der Caritas im Allgäu markierten die Reise ihres Lebens. Pfisterer hat sie begleitet. Die Ehrenamtliche hat gefunden, was sie für ihren Ruhestand suchte: eine Aufgabe mit Sinn.
Annemarie Pfisterer hat vieles gelernt in den zurückliegenden Jahren ihres Engagements. Über barrierefreie Spielplätze. Über Reisen im Rollstuhl. Über Sprache ohne Worte. Annemarie Pfisterer hat aber auch etwas verloren: ihre Scheu gegenüber Menschen mit Beeinträchtigung. Sie lebt ihren Ruhestand inklusiv - und ist damit manch Jüngeren etwas voraus.
Haben Sie ebenfalls Interesse an einem Ehrenamt in der offenen Behindertenarbeit? Dann melden Sie sich per E-Mail an: oba@caritas-regensburg.de.