Buchautor Michael Speyer gab einen kurzen Überblick über die Themen seines Buches.Weigl/Caritas Regensburg
Michael Speyer legte eine überaus beachtliche Studie zur Entwicklung der Kindergärten in Regensburg vor, die von Professor Dr. Bernhard Löffler vom Lehrstuhl für Bayerische Landesgeschichte an der Universität Regensburg betreut wurde. Ursula Lutz ist bei der Caritas Regensburg für die Fachberatung der Kindertageseinrichtungen zuständig. Durchaus innovativ wurde für die Buchpräsentation ein neues Format entwickelt, das die historische Entwicklung der Kindergärten der nicht minder komplexen Situation der Kindertageseinrichtungen in der heutigen Zeit gegenüberstellt. Die zahlreichen Gäste begrüßten Dompropst Dr. Wilhelm Gegenfurtner und Spitalmeister Willibald Koller.
Bei den Zuhörern wurden Erinnerungen an die eigene Kindergartenzeit geweckt und den Gästen wurde bewusst, welche rasante Entwicklung die Kindergärten seit den 1970er Jahren durchliefen: soziales Lernen, familienfreundliche Betreuung, Ausbau der Kitas, Sprachförderung, Akademisierung des Erzieherberufes, Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz. Gleich, ob Teilzeitbetreuung, verlängertes Vormittagsangebot oder Ganztagesbetreuung, alles hatte seine Anfänge im 19. Jahrhundert. Ursula Lutz spannte den Bogen bis herauf zur Pisa-Studie und deren Folgen für die frühkindliche Erziehung. Bekanntlich ließ das Bekenntnis zum vorschulischen Bildungsauftrag lange auf sich warten. So verbot zum Beispiel das zuständige Ministerium in Bayern am 12. Juni 1846 schulische Inhalte wie Lesen, Schreiben und Rechnen, "weil dies die Geisteskraft der Kinder zu sehr und allzufrühe anstrenge, die freie Entwicklung hemme und die jugendliche Fröhlichkeit verkümmere."
Dr. Artur Dirmeier, Spitalmeister Willibald Koller, Dr. Astrid Freudenstein (MdB), Michael Speyer (Autor), Prof.Dr. Bernhard Löffler (Lehrstuhl für Bayerische Landesgeschichte), Ursula Lutz (Caritas Regensburg) und Spitalratsvorsitzender Dompropst Dr. Wilhelm GegenfurtnerArtur Diermeier
Die sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen, unter denen Kinder aufwuchsen, änderten sich im frühen 19. Jahrhundert rapide. Mit der Verbreitung des Manufakturwesens und später den Fabriken ging eine Trennung von Familie und Arbeitsplatz auf Kosten der Kinderbetreuung einher. So schreibt das Regensburger Morgenblatt in der Ausgabe vom 23. Dezember 1886 über die zunehmende Verwahrlosung der Kinder: "Die Kleinen werden nicht gewartet und gepflegt, die Größeren treiben sich auf der Gasse herum, spielen, lärmen und schreien, balgen sich und raufen, sie stehen vor den Wirtshäusern und Tanzlokalen, und wo es sonst für die Neugierde etwas zu hören und zu sehen gibt, auch wenn es für kindlich unschuldige Augen und Ohren noch so gefährlich und verderblich ist." Die gute alte Zeit, von der gelegentlich noch erzählt wird, die gab es nicht.
Unter den insgesamt 18 frühkindlichen Erziehungseinrichtungen in Regensburg geht der Autor auf drei näher ein: die städtische Kleinkinderbewahranstalt in der Schäffnerstraße, die Kleinkinderbewahranstalten St. Leonhard und diejenige in Stadtamhof. Detailliert berichten die erhaltenen Satzungen darüber, was den "Wärterinnen" und den "Zöglingen" damals erlaubt bzw. verboten war, bis hin zur täglichen Verpflegung: "Die Kinder erhalten des Vormittags ein Stück Brod, Mittags eine kräftige Suppe und Nachmittags ein Stück Brod (Satzung der Kleinkinderbewahranstalt Stadtamhof. v. 19. Juni 1889).
Zusatz-Info:
Michael Speyer, Frühkindliche Erziehungseinrichtungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Fallbeispiele aus Regensburg (=Regensburger Beiträge zur Regionalgeschichte, Band 17), Regensburg 2016, Verlag edition vulpes, 116 Seiten, € 16,00.