Die Leiterin der Caritas Notunterkunft, Barbora Pokorny, hatte die Idee für den Adventskalender: Täglich hängt am Eingang ein neuer Impuls für ein achtsames Leben.Schophoff
Regensburg. Manchmal schreibt Ahmad "krasse Sprüche" auf. Diesen hat er beispielsweise kürzlich notiert: "Lebe jeden Tag als wäre es dein letzter. Und spare als würdest du 1000 Jahre alt." Ahmad, 33, freiberuflicher Dolmetscher ohne Aufträge, lebt in der Caritas Notunterkunft für Obdachlose. Der viersprachige Wohnungslose hat in den zurückliegenden Jahren manches verloren: während der Corona-Pandemie seine Kunden, bald darauf seine Freundin, zuletzt seine Wohnung. Sein Vater starb, Ahmad musste die Beerdigung in dessen Geburtsstadt Mogadischu in Somalia bezahlen, für die Miete blieb nichts übrig. Nach vier Monaten Mietrückstand flog er raus. Zu Beginn der Adventszeit 2024 zog er in die Caritas Notunterkunft. "Ich hatte Glück", sagt Ahmad, "ich bin hier auf Menschen getroffen, die mir helfen."
Ahmad spricht von der Leiterin der Notunterkunft, Barbora Pokorny, und ihrem Team, vier Sozialpädagogen, eine Verwaltungskraft, eine Hauswirtschafterin, zwei Hausmeister, zwei Studentinnen der Sozialen Arbeit und Betreuungsassistenten. Seit drei Jahren leitet Pokorny die Notunterkunft mit dem Namen NOAH-deinTagNachtHalt. Für Ahmad ist es der erste Advent seines Leben in einer Notunterkunft, Barbora Pokorny hingegen weiß mittlerweile: "Je näher Weihnachten rückt, desto trauriger und wütender sind unsere Klienten und Klientinnen. Und umso mehr suchen sie Hilfe - auch in Alkohol und Drogen." Um das abzufedern, bieten sie und ihr Team im Advent mehr als sonst gemeinsame Aktionen an.
In der Adventszeit setzen sich Pädagogen und Klienten zusammen und basteln. Oder notieren Sinnsprüche wie den von Ahmad. Am Nikolausabend entfachten sie im Hof ein Lagerfeuer, schenkten alkoholfreien Punsch aus und die Chefin mimte den Nikolaus und verteilte Schokolade. Ein Pädagoge packte die Gitarre aus, ein musikalisch begabter Klient stimmte ein. Der Pädagoge an der Gitarre, Jan Stöckl, organisierte tags darauf einen Ausflug zum Weihnachtsmarkt nach Stadtamhof. Auf dem Weg dorthin stoppten sie bei der Wurstkuchl und betrachteten das ertastbare Stadtmodell aus Bronze, das am Donauufer steht. Sie suchten die Notunterkunft, fanden sie nicht und wunderten sich: Wohnen wir so weit draußen?
78 Plätze stehen in der Notunterkunft in der Landshuter Straße zur Verfügung. "Obdachlosigkeit ist die Folge einer Lebenssituation, eines Problems. Bei unseren Klienten und Klientinnen ist das Problem fast immer eine psychische Erkrankung oder ein Suchtproblem", sagt die Chefin Barbora Pokorny. Unter den Bewohnern sind 18-Jährige, die Streit mit den Eltern hatten und deswegen jetzt auf der Straße leben, und 70-Jährige, die psychisch krank oder alkoholabhängig sind, und auf ein Leben zurückblicken, das sie so nie leben wollten. In der Weihnachtszeit spitzen sich Frustration, Wut und Traurigkeit zu. Und inmitten der potenziellen Eskalation hängt ein Adventskalender mit Impulsen für ein achtsames Leben.
Er klebt in Form eines selbst gestalteten DinA3-Plakates direkt am Eingang. "Liebe Bewohner und Bewohnerinnen, es ist Adventszeit. Nehmen Sie sich Zeit für sich selbst. Gehen Sie kurz spazieren und lassen Sie sich von unserem Achtsamkeitskalender inspirieren!", steht darauf. Jeden Tag gibt es eine neue Aufgabe, wie "Visualisiere einen Ort aus der Vergangenheit" oder "Spüre die Luft auf deiner Haut". Am Freitag, den 13. Dezember, steht dort: "Gehe barfuß. Spüre den Boden unter deinen Füßen."
Dina, Mitte 50, steht vor dem Kalender. Sie lebt seit Juli in der Unterkunft und bleibt im Advent gerne am Eingang stehen. Die Impulse sind für sie ein Innehalten, eine Pause, Abstand vom Alltagslärm. "Jeder bringt seine Geschichte mit", sagt Dina. "Das Zusammenleben ist nicht immer leicht." Sie selbst habe noch Glück, weil sie keine Suchterkrankung habe, auch keine Depression. Sie setzt auf die beruhigende Wirkung des Adventskalenders, "der strahlt Ruhe aus". Jeden Tag geht Dina mit dem Adventsimpuls spazieren. An diesem Freitag, den 13., spürt sie den Boden unter den Füßen, und läuft, wenn auch nicht barfuß, auf Weihnachten zu.