Seine Augen begannen zu leuchten, als er die Maschine im Hof stehen sah: Eine russische Dnepr mit Beiwagen, 1992 gebaut, nach Plänen aus den 50er Jahren. Früher war Christian (61) mit seiner Yamaha auf der ganzen Welt unterwegs, von Norwegen bis zum Nordkap in Afrika. Heute kann er das nicht mehr. Seit 2014 wohnt Christian im Caritas-Alten- und Pflegeheim Elisabethinum in Regensburg. Er ist schwer krank, deshalb rund um die Uhr pflegebedürftig. Keiner weiß, wie viele Tage er noch zu leben hat. Ellen Schmid, seine Pflegerin im Heim, hat ihm mit diesem Motorradausflug noch einmal eine Freude machen wollen. Auch wenn Christian sich aufgrund seiner fortschreitenden Krankheit nur mehr schwer artikulieren kann: Es war deutlich zu sehen, wie sehr er sich auf die Tour mit dem Motorrad zur Walhalla freute.
Pflegerin Ellen Schmid (Mitte) setzte alle Hebel in Bewegung, um Christian dieses Erlebnis zu schenken.
"Ich habe ein wenig mit ihm in seinen Fotoalben geblättert und sehr schnell bemerkt, dass Christian wohl früher ein leidenschaftlicher Motorradfahrer gewesen sein muss", sagt Ellen Schmid. Die Pflegefachhelferin arbeitet seit zehn Jahren im Pflegeheim der Caritas. Da gehört Biografie-Arbeit zu ihren wichtigen Aufgaben. "Damit es den Bewohnern bei uns gut geht, möchten wir wissen, was ihnen im Leben immer gut getan oder Spaß gemacht hat", sagt sie. Nur dann könne man auf die Interessen der Leute eingehen und ihnen auch im Heim einen schönen Alltag bereiten. Die Verständigung mit Christian klappte schnell. Mit "Satisfaction" von den Rolling Stones und viel Einfühlungsvermögen konnten die beiden miteinander kommunizieren. Schnell war Ellen klar: Es muss möglich sein, dass Christian noch einmal mit dem Motorrad unterwegs sein konnte. Sie setzte sich ans Telefon, recherchierte im Internet und stieß auf Uwe Ziemann vom Motorradclub "Protectors". Dieser ließ sich nicht lange bitten und war sofort mit dabei. "Da es sehr kurzfristig zu organisieren war, konnte ich das mit den Freunden im Motorradclub gar nicht mehr absprechen. Ich nehme das auf meine eigene Kappe", sagte er. Da seine eigene Maschine zu der Zeit nicht einsatzfähig war, lieh er sich kurzerhand die Dnepr von Club-Kollege Uli Schrötzlmair.
Geschafft, aber glücklich und vor allem sicher kehrten die beiden Biker wieder zurück. Heimleiterin Ingeborg Helgerth (links) begrüßte sie.
Für Uwe Ziemann sind solche "Benefizfahrten" nichts Ungewöhnliches. Jedes Jahr engagieren sich die "Protectors" für krebskranke Kinder in der Onkologie der Hedwigsklinik. Sie nehmen die Kinder im Beiwagen mit auf die Reise. "Als mich Ellen Schmid anrief und fragte, ob wir das auch für ältere Leute wie Christian machen würden, musste ich keine Sekunde überlegen", sagt Uwe. Bevor er aber mit einem fremden Beifahrer auf Tour geht, möchte er ihn vorher kennen lernen. Schließlich müsse so ein Gespann harmonieren. Doch schon beim ersten Aufeinandertreffen der beiden war klar: Das funktioniert! Christian erwiderte trotz seiner krankheitsbedingten Schwäche sofort mit seiner linken Hand den Bikergruß. Jetzt mussten nur also noch die Zustimmungen von Arzt und Betreuer eingeholt werden. Weder der Arzt noch sein Betreuer Alexej Graf vom Regensburger Betreuungsverein hatten etwas dagegen. Der Tour stand nichts mehr im Wege. Und dann war es soweit: Christian wurde gut gepolstert in den Beiwagen gesetzt. Helm auf, Handschuhe an, der Motor der 34 PS-starken Maschine heulte auf. Noch ein Foto fürs Album und los ging es. Für unterwegs hatte Ellen noch ein frisches Pils eingepackt. Deshalb musst auch die Kühltasche mit. Zu dritt machten sie sich auf den Weg entlang der Donau bis zur Walhalla. Gut zwei Stunden waren sie auf dem Asphalt unterwegs. Wieder zurück im Heim, waren die Augen von Christian immer noch feucht; vom Fahrtwind, den er sich um die Nase wehen ließ, und weil er noch einmal dieses Gefühl von Freiheit, von dem Motorradfahrer immer erzählen, genießen durfte.