Katharina Gold, Leitung der Allgemeinen Sozialberatung (ASB), vor dem Caritas Beratungszentrum St. Gabriel.Foto: Och
Regensburg. Die 80-jährige Ilse Steiner* wartet mit fünf schweren Aktenordnern im Beratungszentrum St. Gabriel der Caritas Regensburg auf ihren Termin in der Notfallsprechstunde: Ihr Sohn, 53, liegt nach einem Unfall im Koma - zehn Jahre lang hatte er sich um alles gekümmert: Finanzen, Versicherungen, den Alltag. Nun steht die Seniorin allein da, ohne Geld, ohne Überblick, ohne jemanden, den sie fragen kann. Sie braucht Hilfe - schnell und unbürokratisch. An Szenen wie diese erinnert sich Katharina Gold, Leiterin der Allgemeinen Sozialberatung (ASB) der Caritas Regensburg, wenn man sie nach den Nöten ihrer Klientinnen und Klienten fragt.
"Wir als Wohlfahrtsverband fangen die Menschen auf, die durch das staatliche Sozialsystem fallen", sagt Gold. Inflation, Wohnungsnot, Energiekosten, soziale Isolation - die strukturellen Probleme zeigen sich täglich in den Beratungsräumen der ASB. Gleichzeitig wird deutlich, dass Menschen sämtlicher gesellschaftlicher Gruppen - von Rentnern über Alleinerziehende und Arbeitssuchende bis hin zu Akademikern - durch psychische Belastungen, Jobverlust oder fehlenden bezahlbaren Wohnraum in existenzielle Krisen geraten können.
Selbst das Alltägliche, wie der Einkauf von Lebensmitteln, wird für viele zur Belastungsprobe: "Lebensmittel sind so viel teurer geworden - wir merken das an der vermehrten Ausgabe unserer Essensgutscheine für die von der Caritas Regensburg betriebene Fürstliche Notstandsküche. Dabei liegt das nicht daran, dass die Menschen mehr oder besser essen, sondern daran, dass Lebensmittelpreise auf hohem Niveau verharren", so Gold.
Allein 2024 führte die Caritas im Rahmen der ASB über 17.000 Beratungsgespräche im Bistum Regensburg. Im Durchschnitt braucht jede Person sechs bis sieben Termine, um wieder Stabilität zu gewinnen. Das Leitprinzip lautet "Hilfe zur Selbsthilfe" - ein Ansatz, der stärkt, statt abhängig zu machen. Doch die Realität ist ernüchternd: Mit nur zwei Vollzeit- und einer Teilzeitkraft arbeitet die Sozialberatung längst am Limit. Wartelisten sind zur Normalität geworden - und sie wachsen weiter. "Wir reden hier nicht von Wartelisten für Studienplätze oder Fortbildungen", betont Gold, "sondern von Existenzen - von Menschen, die ohne unsere Hilfe morgen nichts mehr zu essen haben oder ihre Wohnung verlieren."
Um das Schlimmste zu verhindern, versucht sie selbst als Leitung, Beratungsstunden "abzuknapsen", um wenigstens einige Fälle zusätzlich übernehmen zu können. "Dabei gäbe es Wege, die Wartelisten zu verkürzen", so Gold. "Alle reden von ‚leichter Sprache‘, aber viele Anträge sind so kompliziert, dass selbst Fachleute oft nicht durchblicken und den Behörden fehlt oft die Zeit, beim Ausfüllen zu helfen."
Zwischen dem Internationalen Tag für die Beseitigung der Armut am 17. Oktober und dem Welttag der Armen am 16. November richtet sich der Blick der Caritas auf jene Menschen, die trotz Arbeit, Ausbildung oder Lebensleistung in Not geraten - und auf die Beratungsstellen, die ihnen helfen. Diese geraten zunehmend selber in Bedrängnis, denn die Caritas finanziert ihre Allgemeine Sozialberatung fast ausschließlich aus Eigenmitteln, aus Kirchensteuern und Spenden. Eine gesetzlich verankerte Pflicht für eine staatliche Refinanzierung einer unabhängigen Allgemeinen Sozialberatung existiert nicht.
Der Deutsche Caritasverband (DCV) hatte bereits vor Wochen gewarnt: Die Allgemeinen Sozialberatungen in Deutschland stehen auf der Kippe. Bereits im vergangenen Jahr mussten in Deutschland laut DCV ein Viertel der Träger das Angebot einschränken oder sogar aufgeben. Ohne politische und finanzielle Unterstützung droht der Wegfall eines zentralen sozialen Sicherungsnetzes.
"Wir sind die Feuerwehr der sozialen Arbeit", sagt Katharina Gold. "Wenn Menschen in Not geraten, kommen sie zuerst zu uns. Aber auch wir brauchen Unterstützung - damit wir weiterhin helfen können, bevor es zu spät ist."
Zusatzinfo
Die Allgemeine Sozialberatung bietet kostenlose und anonyme Beratung für alle Menschen im Bistum Regensburg - unabhängig von Herkunft, Alter, Religion oder sexueller Orientierung. Zum Angebot gehören die Notfallhilfe für Klientinnen und Klienten in akuten Krisen - etwa bei Stromsperre, Bedarf an Nahrung oder Kleidung -, die Schuldner- und Insolvenzberatung, das Patenschaftsprogramm für Familien und Kinder in Not, der Kleiderladen CarLa, in dem Hilfesuchende nach einem Beratungsgespräch kostenlose Kleidung für sich und ihre Familie erhalten, sowie die Familien- und Seniorenhilfe.
*Name wurde zum Schutz der Klientin geändert