Es war eine alltägliche Bewegung, die Daniela aus ihrem gewohnten Leben warf. Sie hob ihren kleinen Sohn aus dem Kindersitz, plötzlich konnte sie sich nicht mehr bewegen. Diagnose: Bandscheibenvorfall. Der zweite innerhalb von zwei Jahren. Wer sollte die Kinder versorgen? Wer kann ihren Job übernehmen? Die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern wusste: "Ich brauche Hilfe." Wenige Wochen später holte sie sich Rat von Brigitte Weißmann, Leiterin der Familien- und Seniorenhilfe der Caritas Regensburg und Geschäftsführerin der katholischen Arbeitsgemeinschaft für Müttergenesung in Regensburg.
Daniela ist eine von vielen Müttern in Deutschland, die krank werden, weil sie überlastet sind - vom Job, von der Kindererziehung, von der Hausarbeit. "Die Anforderungen an Mütter werden in unserer Gesellschaft immer höher", sagt Weißmann. "Das schadet ihrer Gesundheit". Die Caritasmitarbeiterin, selbst Mutter von zwei Kindern, möchte dieser Entwicklung entgegenwirken. Sie vermittelt Kuren in Kliniken des Müttergenesungswerks (MGW): 21 Tage Auszeit vom Alltag, 21 Tage ohne Stress, 21 Tage gesundes Leben. Daniela bricht in wenigen Tagen zur Mutter-Kind-Kur auf, in eine Klinik im Saarland mit orthopädischem Schwerpunkt. Die 37-Jährige sitzt im Büro der Caritas, streichelt ihrem Dreijährigen über den Schopf, der über Kopfhörer ein Hörspiel hört, und erzählt ihre Geschichte, sanfte Stimme, dunkle Augen, das Haar fällt über die Schultern. Sie sieht müde aus, ja, aber keiner würde erahnen, wie sehr sie der Alltag in den vergangenen Monaten an ihre Grenzen gebracht hat.
87 Prozent aller Mütter, die im Jahr 2015 bundesweit an einer Kur teilnahmen, litten an einem Erschöpfungssyndrom bis hin zum Burn-Out, besagen Statistiken des MGW. Auch zu Brigitte Weißmann und ihren Mitarbeiterinnen kommen Mütter, die vor allem über Kopf- und Rückenschmerzen, Müdigkeit und Gereiztheit klagen. 92 Frauen haben Weißmann und ihre Kolleginnen im ersten Halbjahr 2017 bereits beraten. 83 Kuren haben sie im selben Zeitraum vermittelt.
"Ich war verzweifelt", sagt Daniela. Ihre Söhne sind zwei und drei Jahre alt, vor eineinhalb Jahren trennte sie sich von deren Vater. Mit zwei kleinen Kindern zog sie in eine 60-Quadratmeter-Wohnung, vierter Stock, kein Aufzug. Sie arbeitet als Jugendsozialarbeiterin 20 Stunden in der Woche an einer Grundschule. Seit der Geburt ihres ersten Kindes plagt sie ständige Müdigkeit, trotzdem erwacht sie mehrmals in der Nacht. Zeit für sich selbst, für Yoga, Schwimmen oder einen Plausch mit den Freundinnen, gibt es in ihrem Alltag kaum.
Nicht nur Alleinerziehende sind überlastet. Zu Weißmann kommen Frauen aus allen sozialen Schichten und den unterschiedlichsten Familienkonstellationen: von der Arbeitslosen bis zur Privatversicherten, von der Ein-Kind-Familienmutter, die Karriere macht, bis hin zur Großfamilienmanagerin. "Mütter haben oft viele Aufgaben, die sie in ihrem Alltag vereinen müssen. Dazu kommen Zeit- und Leistungsdruck", sagt Weißmann. Infolgedessen würden sich Erziehungsprobleme oder Streitereien in der Partnerschaft ergeben. "Wenn die Mutter überlastet ist, wirkt sich das auf die gesamte Familie aus."
Dieses Problem hat das Müttergenesungswerk früh erkannt. Gegründet 1950 durch Elly Heuss-Knapp, der Ehefrau des damaligen Bundespräsidenten, folgt die gemeinnützige Stiftung dem Leitsatz: "Wir machen Mütter stark." Bis in die 1970er-Jahre richteten sich die Genesungskuren nur an Mütter, dann rückte zunehmend die Mutter-Kind-Beziehung in den Fokus und das Gesundheitsangebot wurde auf Mütter mit Kindern abgestimmt. Weißmann begrüßt das. "Diese stressfreie gemeinsame Zeit ist für viele etwas Neues und stärkt die Bindung", sagt die Caritas-Beraterin. Mittlerweile gibt es die Kuren auch für Väter oder pflegende Angehörige. Die Nachfrage dieser Zielgruppen sei bislang aber gering.
Die katholische Arbeitsgemeinschaft (KAG) für Müttergenesung ist eine Trägergruppe des bundesweit aktiven Müttergenesungswerks und ist in Regensburg an die Arbeit des Diözesan-Caritasverbandes angegliedert. Brigitte Weißmann vereint zwei Funktionen: Sie ist KAG-Geschäftsführerin und Referatsleiterin der Caritas Familien- und Seniorenhilfe. Die Mütter kommen mit den unterschiedlichsten gesundheitlichen Problemen. Ihr Dienst hilft, indem er klärt, welche Hilfen es gibt und welche zur jeweiligen Lebenssituation passen. Da sind einerseits die Kuren, andererseits aber auch ein großes Netzwerk an Beratungsstellen, an welche die Caritas intern oder extern weitervermitteln kann, wie beispielsweise die Erziehungsberatung, die Eheberatung oder die Fachambulanz für Suchtprobleme.
Kommt eine Kur infrage, helfen Brigitte Weißmann und ihre Mitarbeiterinnen bei den Anträgen und bei der Klinikwahl. "Die Auswahl der Klinik ist entscheidend für den Kurerfolg", sagt Weißmann. Die KAG für Müttergenesung ist Träger von 21 Kliniken in Deutschland mit unterschiedlichen Schwerpunkten: die einen brauchen Meeresluft, die anderen Physiotherapie und wieder andere wollen gerne unter Alleinerziehenden sein. Zudem kann die Beratungsstelle bei finanziellen Engpässen Taschengeld gewähren; denn obwohl die Kuren seit der jüngsten Gesundheitsreform eine gesetzliche Pflichtleistung der Krankenkassen sind, fehlt manchen das Geld, um den Eigenanteil zu begleichen oder sich Kleinigkeiten während des Aufenthalts zu leisten. Auch Daniela profitiert davon.
Nach dem Klinikaufenthalt wird Daniela genau wie die anderen betroffenen Frauen von der Caritas nicht alleingelassen, sondern zur Nachsorge wieder in die Beratungsstelle kommen. "Unser Konzept ist ganzheitlich und nachhaltig", sagt Weißmann. Sie und ihre sozialpädagogischen Kolleginnen unterstützen die Mütter auf ihrem Weg in ein gesünderes, erfüllteres Leben. Eine Kur sei kein Urlaub, sondern eine Auszeit vom Alltag, in der erschöpfte Mütter zu sich selbst kommen können. "Viele Frauen wissen gar nicht, was ihnen gut tut", sagt Weißmann. In der Klinik hätten sie Zeit, das herauszufinden und sich zu fragen: "Was brauche ich: Meditation, Bewegung, Singen oder Gemeinschaft?" Zuhause hätten sie dann die Kraft, Kleines in ihrem Alltag zu verändern - und mitunter Großes zu erreichen. Die Diplom-Sozialpädagogin berichtet von Frauen, die Aggressionen mit täglichem Joggen abbauen oder anderen, die endlich aufhören, nachts aus Frust Schokolade in sich hineinzustopfen. "Es geht darum, neue Perspektiven für den Alltag zu entwickeln."
Daniela hat sich für die drei Kurwochen Ziele gesetzt. Sie möchte die Zeit, in der ihre Kinder betreut werden, für sich nutzen, ihren Rücken stabilisieren, Yoga machen, schwimmen. Sie nimmt sich zudem vor, mit dem Rauchen aufzuhören. "Es gibt viele Dinge, die dort passieren können, aber nicht müssen. Wenn ich einige meiner Ziele erreiche und etwas davon mit in den Alltag nehme, wäre das großartig."
Drei Wochen später ein Anruf, Meisner ist seit zwei Tagen zurück von der Kur, erfrischte Stimme, erholte Seele, ein Lachen am anderen Ende der Leitung. "Das war Erholung pur", sagt sie. Zwar dauerte es einige Tage, bis sich der jüngere ihrer beiden Söhne an die Kinderkrippe gewöhnt hatte. Doch nachdem diese Hürde genommen war, genoss Meisner ihr Mutter-Kur-Leben in vollen Zügen. Jeden Tag Sport, jeden Tag in Ruhe essen, jeden Tag ein Mittagsschläfchen mit den Kindern. Kein Einkauf, kein Kochen, kein Stress. "Ich bin mit Schmerzen hingefahren und schmerzfrei nach Hause gekommen", sagt Meisner. Ihren Elan möchte sie mit in den Alltag nehmen. Das wichtigste: ihre Gesundheit. Das Rauchen hat sie aufgehört; und das soll so bleiben. Sie nimmt sich vor, täglich ein wenig Sport zu machen. Wie? Vielleicht das Auto am Kindergarten abstellen und eine Runde laufen, bevor sie die Kinder abholt - ein kleiner Dreh mit großer Wirkung.
Zusatzinfo 1: Woche der Müttergesundheit
Vom 25.09. bis 01.10. 2017 ruft das MGW die "Woche für Müttergesundheit" aus. In dieser Aktionswoche führen vom MGW anerkannte Einrichtungen und Beratungsstellen der Wohlfahrtsverbände bundesweit Aktionen und Veranstaltungen zum Thema durch.
Zusatzinfo 2: Familienurlaub mit Finanzhilfe
Die Familienhilfe der Caritas kennt nicht nur Vorsorgemaßnahmen. Ein weiteres Angebot, zu dem sie berät und vermittelt, ist die gemeinnützige Familienerholung: Urlaub mit staatlichem Zuschuss. Wer sich aufgrund von finanziellen Problemen keinen Familienurlaub leisten kann, hat die Chance, sich einige Tage Erholung bezuschussen zu lassen. Dabei geht es um maximal 15 Euro pro Tag und Person, die allerdings erst nach dem Urlaub ausbezahlt werden. Zudem vermittelt die Beratungsstelle in geeignete Familienferienstätten (Pensionen oder Hotels mit Kinderbetreuung). Ein Gesamtkatalog an Angeboten findet sich im Internet auf www.urlaub-mit-der-familie.de.
Zusatzinfo 3: Familienhilfe vor Ort
Informationen und Beratung gibt es bei der Caritas Regensburg, Familien- und Seniorenhilfe, Von-der-Tann-Straße 13, Telefon 5021126 oder bei allen Kreis-Caritasverbänden.
Zusatz-Info 4: Online-Kurtest
Auf der Website des MGW (www.muettergenesungswerk.de) können Frauen einen Online-Kurtest machen, der zeigt, ob eine Kurmaßnahme in Frage kommen kann.