Sascha lebt seit elf Jahren auf der Straße. Im Januar kam er nach Regensburg. Das Bild zeigt ihn im Sommer 2025 an der Donau. (Foto: Susanne Schophoff)
Regensburg. Immer, wenn Sascha irgendwo angekommen ist, wird es laut in seinem Kopf. "Meine Gedanken schreien, dass ich wegmuss", sagt der 28-Jährige. In Gesellschaft, unter Menschen, fühlt er sich beengt und bedrängt. Nie hat er es lange an einem Ort ausgehalten. "Aber diesmal will ich es schaffen."
Sascha sitzt in einem Büro der Caritas Notunterkunft für Obdachlose. 78 Männer ohne festen Wohnsitz haben hier Bett, Dusche, Waschmaschine, tägliches Essen und sozialpädagogische Begleitung. Fünf Monate hat Sascha dort gelebt, von Januar bis Mai dieses Jahres. Mittlerweile kommt er nur noch tagsüber, er schläft lieber draußen. Die Unterkunft mit dem Namen NOAH-deinTagNachtHalt ist dennoch sein Anker und sein Rückzugsort. Von hier aus, sagt er, wird es ihm vielleicht endlich gelingen, sich ein eigenes Leben aufzubauen.
"Wohnungslosigkeit ist eines der drängendsten Probleme unserer Zeit"
Sascha ist seit elf Jahren obdachlos und damit einer von mehr als einer halben Million Menschen ohne festen Wohnsitz in Deutschland, rund 430.000 davon sind untergebracht (Quelle: statistisches Bundesamt). Der Welttag der Obdachlosen am 10. Oktober 2025 möchte auf diese Menschen und ihre komplexen Problemlagen aufmerksam machen. In Regensburg leben 270 Obdachlose in Unterkünften, ein erheblicher Teil davon in Einrichtungen der Caritas (siehe Infotext). "Wohnungslosigkeit ist eines der drängendsten gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit. Wir unternehmen große Anstrengungen da entgegenzuwirken", sagt Brigitte Weißmann, die verantwortliche Referatsleiterin für dieses Aufgabengebiet bei der Caritas.
Referatsleiterin Brigitte Weißmann(Foto: H.C. Wagner)
Es geht um mehr als eine Unterkunft
"Jeder Mensch hat Anspruch auf ein gutes Leben", sagt Barbora Pokorny, Leiterin der Unterkunft. In ihrer Arbeit gehe es daher um deutlich mehr als um die Grundversorgung mit Lebensmitteln. "Wir bringen jedem hier Respekt entgegen", sagt die Pädagogin. Ihre Klienten werden beraten, begleitet und in eine Tagesstruktur eingebunden. Sie entwickeln so wieder Selbstwert und finden im Idealfall Kraft, neue Wege zu gehen. "Wir sagen ihnen: Du bist nicht allein."
Vor vier Jahren hat die Caritas die Notunterkunft in der Landshuter Straße in Trägerschaft genommen. 32 Mitarbeitende hat das Team, darunter auch Ehrenamtliche und Praktikanten, 1351 Klienten wurden seither aufgenommen, 16.015 Beratungsgespräche geführt, 1453 Mittagessen ausgegeben und 23.360 Waschmaschinengänge angeschmissen.
Sascha ist am Abend seines siebzehnten Geburtstags von seinem Zuhause in Nordrhein-Westfalen weggegangen. Es gab Streit in seinem Elternhaus, immer schon, auch häusliche Gewalt habe er erlebt, erzählt Sascha. Als er ging, schulterte er seinen 40-Kilo-Rucksack, darin Schlafsack, Zelt, Laptop, Personalausweis und sein Schulabschlusszeugnis. Aufbrechen, abhauen, loslaufen - das ist für ihn Freiheit. "Dann hören die Gedanken endlich auf", sagt er.
Barbora Pokorny, Leiterin der Notunterkunft(Foto: H.C. Wagner)
"An Lebensmittel zu kommen, war nie ein Problem"
Immer wieder zog er los, in elf Jahren lernte er drei Berufe in drei Städten - Koch, Metzger, Bäcker. Er machte die Grundausbildung beim Bund. Er schlief draußen, in Wäldern oder auf Campingplätzen. Er lernte, sich aus Mülleimern zu ernähren, fand Pausenbrote, die Kinder noch vor Schulbeginn weggeworfen hatten, Pizzen, die er aus halbvollen Kartons kratzte, oder Döner, die noch warm waren, als er sie aus dem Müll fischte. "Die Leute schmeißen so viel weg", sagt Sascha. "An Lebensmittel zu kommen, war nie ein Problem."
Doch das Leben draußen hinterließ Spuren. Er nahm Drogen, nachts war er nicht sicher. Noch heute hat er Narben von Schlägen, die er einstecken musste, wenn ihn jemand von seinem Schlafplatz verscheuchen oder ausrauben wollte. Die Angst vor solchen Überfällen habe er mittlerweile aber bewältigt. "Wovor soll ich mich fürchten?", fragt er. "Was habe ich schon zu verlieren?"
700 Kilometer in drei Monaten zu Fuß durch Deutschland
Im November 2024 beschloss Sascha, nach Regensburg zu gehen. Er lebte damals in Emden, hatte gerade seine Kochausbildung abgeschlossen. Es drängte ihn, wieder aufzubrechen. Eine Oberpfälzerin, die er vom Onlinegaming kannte, empfahl ihm Regensburg. "Wenn du eh‘ nicht weißt, wo du hingehörst, genügt ein kleiner Anstoß", sagt er.
Sascha schulterte seinen Rucksack und lief in drei Monaten 700 Kilometer quer durch Deutschland, den Rhein entlang, von Burgruine zu Burgruine, in den immer selben Turnschuhen (siehe Bild). Am 28. Januar 2025 erreichte er Regensburg und kehrte in der Kneipe Piratenhöhleein. Dort erzählte ihm jemand von der Notunterkunft der Caritas. Am nächsten Tag zog er ein.
In Regensburg will Sascha bleiben
Fünf Monate hat er dort geschlafen, gegessen, gelebt. In der Notunterkunft fand Sascha Anschluss. Sozialarbeiter sprachen regelmäßig mit ihm, freitags spielte er Fußball, mittwochs machte er beim Kulturprogramm mit und besuchte beispielsweise Museen, beim Sommerfest im Juli grillte er die Würstchen. "Ich habe keine wirkliche Heimat", sagt Sascha. "Für mich ist es normal, nirgends lange zu bleiben." Doch in Regensburg änderte sich das.
Nach elf Jahren auf der Straße wagt er mithilfe der Caritas den Neuanfang. Seit Donnerstag, 2. Oktober, hat er einen neuen Job, sozialversicherungspflichtig. "Wenn ich drei Monate schaffe, suche ich eine Wohnung oder ein WG-Zimmer", sagt er. In Regensburg, wo er endlich ankommen will.
ZUSATZINFO
Caritas hilft: Das macht die Caritas für Obdachlose in Regensburg
Der Diözesan-Caritasverband Regensburg e.V. unterstützt mit verschiedenen Angeboten Menschen, die von Wohnungslosigkeit betroffen sind. Die Hilfen reichen vom Sicherstellen der Grundversorgung (Nahrung, Hygiene, Kleidung) über die aufsuchende Beratung bis hin zur regelmäßigen sozialen Beratung, Unterbringung und Nachsorge.
Die Caritas leistet ihre Hilfsangebote durch qualifiziertes pädagogisches Personal, die Hilfen greifen ineinander und bieten nachhaltige Unterstützung. Allen Angeboten der Caritas gemeinsam ist das Ziel, die Klientinnen und Klienten zur Selbsthilfe und Teilhabe zu befähigen. Die Methodik besteht aus professioneller Gesprächsführung, sozialpädagogischer Begleitung und das Unterstützen durch gezielte, konkrete Hilfen wie Lebensmittel oder Kleidung. Die Hilfen auf einen Blick:
NOAH - das Programm der Caritas für Wohnungslose
NOAH heißt das Programm der Caritas Regensburg in der Wohnungs- und Obdachlosenhilfe. NOAH steht für niederschwelliges, ortsnahes Angebot, um Menschen zu helfen, die auch ohne festen Wohnsitz ihren Anspruch auf Heimat haben. Die NOAH-Hilfen umfassen Notunterkünfte, stationäre Wohngruppen sowie Fachberatungen und sozialpädagogische Angebote. NOAH hat das Ziel, wohnungs- und obdachlose Menschen wieder zur Teilhabe an der Gesellschaft zu befähigen.
Das NOAH-Mobil im Fürstenpark.Foto: Sonja Och
NOAH-deine Beratung und NOAH-mobil
Die Fachberatung für Menschen in besonderen Lebenslagen liegt in der Obermünsterstraße 12. Dort bekommen Menschen niederschwellig Hilfe und haben eine Anlaufstelle in der Innenstadt. Die Beratung findet zweimal wöchentlich (dienstags und donnerstags Nachmittag) auch mobil statt, nämlich im Fürstenpark beim "Milchschwammerl". Der Berater sucht damit einen Ort auf, an dem sich die Klientinnen und Klienten oftmals aufhalten.
Blick in die Caritas Notunterkunft für Männer NOAH-deinTagNachtHalt(Foto: Susanne Schophoff)
NOAH-Notunterkunft für Männer mit Tagesaufenthalt
NOAH-deinTagNachthalt ist die Unterkunft für Obdachlose der Caritas Regensburg. Sie liegt in der Landshuter Straße 49. Die Einrichtung ist 24 Stunden zugänglich und unter der Telefonnummer (0941) 788 320 61 00 erreichbar. 78 Plätze stehen in der Unterkunft für wohnungs- und obdachlose Männer zur Verfügung. Neben der Übernachtungsmöglichkeit gibt es ein Tagesangebot mit sozialpädagogischer Betreuung und Beratung zudem Verpflegung. Der Zugang ist niederschwellig.
Die NOAH-Notunterkunft für Frauen im Caritas MarienheimFoto: Sonja Och
NOAH-Notunterkunft für Frauen mit Tagesaufenthalt
Die NOAH-Notunterkunft für Frauen liegt im Caritas Marienheim in der Ostengasse 36. Die Einrichtung ist 24 Stunden zugänglich und unter der Telefonnummer (0941) 788 320 62 40 erreichbar. 30 Plätze stehen in der Unterkunft für wohnungs- und obdachlose Frauen zur Verfügung. Neben der Übernachtungsmöglichkeit gibt es ein Tagesangebot mit sozialpädagogischer Betreuung und Beratung zudem Verpflegung. Der Zugang ist niederschwellig.
NOAH-Nachsorge
Die NOAH-Nachsorge, richtet sich an Männer und demnächst auch an Frauen, die jeweils die Notunterkunft verlassen haben, aber weiterhin Unterstützung benötigen. In dieser Phase geht es um die langfristige Stabilisierung und Begleitung. Die Klientinnen und Klienten erhalten Wohnraum zur Miete, die Kapazitäten sind begrenzt.
Das StreetNetCafé der Caritas in der Obermünsterstraße Foto: Susanne Schophoff
Streetwork und StreetNetCafé
Wohnungslosigkeit ist ein vielschichtiges Phänomen, die Problemlagen komplex, Suchterkrankungen sind mitunter Ursache oder Folge davon. Die Caritas Streetwork ist an die Caritas Suchthilfe angegliedert. Die Streetworker der Caritas leisten aufsuchende professionelle Beratungsarbeit und fungieren als Vertrauenspersonen und Bindeglied zu weiteren Hilfsangeboten. Die Streetworker haben auch Lebensmittelspenden dabei und leisten damit konkrete Sachhilfen. An heißen Tagen verteilen sie Wasser. Das StreetNetCafé in der Obermünsterstraße 12 hat immer dienstags von 9 bis 11 Uhr geöffnet. Dort erhalten die Klientinnen und Klienten warmen Milchkaffee sowie sozialen und digitalen Anschluss.
Übergangswohnheim für Männer (NOAH)
Das Übergangswohnheim für Männer in der Alten Nürnberger Straße 61 bietet Platz für sieben Bewohner. Die Bewohner finden dort Wohnraum auf Zeit und werden sozialpädagogisch beraten und begleitet, zum Beispiel bei der Wohnungs- oder Jobsuche.
Wohngruppe St. Rita (NOAH)
Die Wohngruppe St. Rita ist im Caritas Marienheim in der Ostengasse 36 untergebracht und bietet Platz für zehn Frauen. Die Bewohnerinnen finden dort Wohnraum auf Zeit und werden sozialpädagogisch beraten und begleitet, zum Beispiel bei der Wohnungs- oder Jobsuche.
Fürstliche Notstandsküche
Der erste Weltkrieg war überstanden, die Regensburger Bevölkerung litt Not - da gründete Fürst Albert von Thurn und Taxis 1919 die Notstandsküche. Über hundert Jahre später wird die caritative Einrichtung immer noch dringend gebraucht. Täglich werden hier rund 170 Mahlzeiten kostenfrei ausgegeben. In hundert Jahren waren es rund acht Millionen Mahlzeiten. Seit 1951 ist die Caritas Rechtsträger der Einrichtung. Sie stellt die Berechtigungsscheine aus. Die Kosten in Höhe von rund 300.000 Euro jährlich trägt das Haus Thurn und Taxis. Menschen mit kleinen Renten oder geringem Einkommen, Sozialhilfeempfänger, Alleinerziehende oder andere Bedürftige nutzen regelmäßig die Fürstliche Notstandsküche.