Monika Finken (links) im Gespräch mit einer Heimbewohnerin. „Unsere Bewohner sind durch die Tablettenreduktion nun wacher und agiler“, so die Pflegdienstleiterin.kutz/burcom
Ihren Stock hält sie in der rechten, die helfende Hand der Pflegerin in der linken Hand. Nach kurzer Zeit steht die Bewohnerin aufrecht. Sie ist auf dem Weg in den Gemeinschaftsraum, um an einer Feier teilzunehmen. "Es mag auf den ersten Blick nicht viel sein, aber für die Dame ist das eine große Leistung", betont Monika Finken, Pflegedienstleiterin im Caritas-Alten- und Pflegeheim Friedheim. Die ältere Dame ist 95 Jahre alt und lebt seit kurzem im Haus.
Bevor sie ins Friedheim kam, lag sie mehrere Wochen im Krankenhaus. Der behandelnde Arzt stellte einen starken Missbrauch opiathaltiger Medikamente fest. Zu jener Zeit nahm die Dame über zwölf verschiedene Tabletten täglich ein. Sie war apathisch, kaum ansprechbar und verschlief den größten Teil des Tages. "In diesem Zustand kam sie zu uns", so Finken. Die Pflegefachkräfte des Friedheims ließ der Zustand der 95-Jährigen nicht mehr in Ruhe. "Übermedikation im Alter ist ein gesellschaftliches Problem. Im Alten- und Pflegeheim ist die Medikation nach am ehesten kontrollierbar. Es ist anzunehmen, dass die Übermedikation außerhalb des Alten- und Pflegeheims schwerer einzufangen ist", sagt Mechthild Hattemer, Referatsleiterin für Stationäre Altenhilfe beim Caritasverband.
Gesundheitsbewusstes Alten- und Pflegeheim
Vor gut einem Jahr schon fand im Friedheim eine Fortbildung für die Pflegekräfte zum Thema "Sucht im Alter" statt. Monika Gerhardinger von der Caritas-Suchtberatung in Regensburg stellte ihr Projekt "Vernetzung Sucht- und Altenhilfe" gemeinsam mit Gerd Schmücker vom Regensburger Seniorentreff vor. Ziel des Projektes ist es, die Pflegefachkräfte für problematisches Konsumverhalten von Heimbewohnern zu sensibilisieren und ihnen angemessene Reaktionsmöglichkeiten aufzuzeigen. Der Alkoholkonsum ist bei Senioren in den letzten Jahren bundesweit gestiegen, Medikamente und Glücksspiel sind auch in Altenheimen ein Thema. "Wir waren sofort Feuer und Flamme für das Thema. Wir hatten einige Bewohner mit hohen Medikamentendosierungen", sagt Finken. Alkohol war hingegen kein Problem, da sich der Konsum im Haus sehr im Rahmen hält. Wie gut, dass es innerhalb der Caritas quasi Tür an Tür Pflegeexperten und Experten in Suchtfragen gibt.
Im Alter noch topfit: Heimbewohner Dieter Weymann (Bildmitte) war früher Mitglied in einem Seniorenorchester. Das Spielen auf dem Akkordeon macht ihm auch mit fast 90 Jahren noch Spaß und Freude.kutz/burcom
Verantwortlich für die Verordnung der Medikation ist der behandelnde Arzt. Im Friedheim ging die Initiative auch von einem dort behandelnden Arzt aus. "Wir machten uns sofort daran, die Dosierungen aller Heimbewohner zu überprüfen", sagt die Pflegedienstleiterin. Die behandelnden Ärzte wurden informiert und gebeten, die Medikamente der Bewohner zu überprüfen. Auch die Dosierung der älteren Dame wurde genau überprüft. Gemeinsam mit den Hausärzten, behandelnden Neurologen und Angehörigen konnte die tägliche Medikamentenvergabe zum Teil deutlich zurückgefahren werden. Dies betraf besonders Schmerzmittel, die nach vorherigem Gespräch mit den Bewohnern und mittels festgelegter Schmerzeinschätzungen gezielt reduziert werden konnten - ein Gewinn für alle Seiten. Die Folge: Die Bewohner waren nach der Reduzierung der Medikamente viel agiler und lebensfreudiger. Für die Mitarbeiter bedeutete es mehr Zeit für die Bewohner und weniger Zeit für die Medikamentenvergabe. "Es macht uns viel Freude zu sehen, wie die Bewohner wieder aktiv am Tagesgeschehen beteiligt sind", bestätigt Heimleiter Albert Pöllinger.
Weniger ist eben mehr
Die ältere Dame hat inzwischen Platz genommen und sich ein großes Stück vom Kuchen abschneiden lassen. Die Zeit, wo sie keinen Appetit hatte, ist vorbei. Sie ist so fit wie seit Jahren nicht mehr, sagt sie. Ihre Medikamentendosis wurde halbiert. Zahlreichen anderen Heimbewohnern, deren Medikamente reduziert wurden, geht es ähnlich. Doch Schmerzen muss freilich keiner haben: "Wer über Schmerzen klagt, der bekommt natürlich seine Tabletten", sagt Finken. Hier sei die Zusammenarbeit mit den Angehörigen entscheidend. Manche Heimbewohner können sich nicht mehr so gut mitteilen. Die Einschätzung der Angehörigen ist hier maßgeblich. "Die wissen einfach, wenn es Papa oder Mama nicht gut geht", so Finken weiter.
Die Auswirkungen dieses Projekts machen sich im ganzen Haus bemerkbar. Die Betreuungsassistenten und Geronto-Fachkräfte organisieren jeden Tag für die Senioren Aktivitäten wie Basteln, Kochen, Backen, Musizieren oder Ausflüge in die Stadt. Die Betreuungsgruppen und viele andere Angebote werden nun viel besser angenommen.
Das Projekt ist abgeschlossen - die Arbeit aber nicht
Neben dem Friedheim haben das Caritas-Alten- und Pflegeheim Marienheim in Schwandorf und zwei ambulante Pflegedienste am Projekt teilgenommen. Über 200 Fachkräfte wurden in diesem Rahmen seit 2013 geschult. Das Projekt läuft zwar Ende des Jahres aus, jedoch soll es ab 2016 allen interessierten Altenhilfeeinrichtungen im Bezirk Oberpfalz zur Verfügung stehen. Für 2016 sind weitere Informationsveranstaltungen für Angehörige und Hausärzte vorgesehen. Und: Der 96. Geburtstag der Bewohnerin aus dem Friedheim im Februar ist ebenfalls in der Planung.
Zusatzinfo Teil 1:
Das Caritas Alten- und Pflegeheim Friedheim in Regensburg ist eines von drei Heimen des Diözesan-Caritasverbandes. Hier leben 170 Bewohner. Ausgebildete Pflegekräfte sind rund um die Uhr für sie da.
Zusatzinfo Teil 2:
Mehr Informationen zum gemeinsamen Projekt der Caritas-Sucht- und Altenhilfe gibt es auf www.caritas-regensburg.de/sucht-im-alter oder unter 0941/6308270.